Beitrag im Jahrbuch 2001 des
Stadtteilvereins Handschuhsheim Esskastanien in Handschuhsheimvon Petra Bauer und Dieter Teufel Ein deutlich sichtbares Zeichen der römischen Anwesenheit hat jedoch die Jahrtausende überdauert und ist heute besonders in Handschuhsheim gut sichtbar: Die Ess- oder Edelkastanie (Castanea sativa). Dieser vor allem wegen seiner Früchte und seines Holzes wertvolle Baum stammte ursprünglich aus Südeuropa und Westasien. Die Griechen benannten ihn nach der Stadt Kastana in Pontus, einer historischen Landschaft an der kleinasiatischen Küste des Schwarzen Meeres, wo er in großem Stil kultiviert worden sein soll. Die Römer latinisierten die alte griechische Bezeichnung zu Castanea. Der Zusatz Sativa im wissenschaftlichen Namen bedeutet kultiviert, nützlich oder sättigend und kommt bei kultivierten Nahrungspflanzen häufig vor, z.B. Kopfsalat (Lactuca sativa), Hafer (Havena sativa) oder Reis (Oryza sativa).
Auch heute kann man im Sommer von weitem sehen, wo an den Hängen des Heiligenbergs und des Siebenmühlentales die Kastanien stehen. Ende Juni/Anfang Juli, wenn die Keschde blühen, leuchtet das helle Gelb ihrer männlichen Blütenstände bis weit in die Ebene des Rheintals. Das Foto zeigt die Hänge Handschuhsheims von der Wieblinger Flur aus.
Schon Goethe, der ja ab und zu in
Heidelberg weilte, war ein großer Liebhaber der Esskastanien. Goethes Mutter schickte ihm jeden Herbst
aus dem Taunus ein Paket mit Kastanien. Als sie gestorben war, übernahm die Hauswirtin
seines Sohnes August, der in dieser Zeit in Heidelberg studierte, dieses Amt. Am 5.Oktober
1814 schrieb Goethe aus Heidelberg an Christiane: Bemerken muß ich hier, daß
Kastanien schon angeschafft worden und... mit nach Hause geführt werden. (3) In
einem Gedicht in seinem Buch Suleika verewigte Goethe die schmackhaften
Früchte im Herbst 1813 in Heidelberg.
Erwin Ackerknecht berichtet in seinem Buch
Heidelberg im Leben Goethes von einer Begebenheit, von der Heinrich Voß
erzählte: Ein Mann von Geschmack und ästhetischer Bildung habe sich Goethe
gegenüber über den Barbarismus entrüstet, womit die Handschuhsheimer den schönen
Heiligenberg niedergeholzt hätten. Darauf habe Goethe erwidert: Beruhigen Sie sich! In
einigen Jahren ist er wieder grün und dann hat Ihr Ärger volle 22 Jahre Ruhe, denn so
lange muß der Berg nach forstlichen Regeln schon grün bleiben. (4) Interessant ist, sich von älteren
Menschen über die Keschde berichten zu lassen. Ludwig Merz erzählte uns
Jugenderinnerungen: Bei jedem Käschde-Stupple kam es zu Grenzzwischenfällen der
Altstädtler und der Weststädtler. Sie wurden auf echt pfälzische Art mit viel Geschrei
und Drohungen, aber ohne Tätlichkeiten ausgetragen. Gefährlich war das
Nachhelfen zum Herunterfallen der Kastanien mittels Prügel oder gar Steinen.
Da gab es manche blutende Wunde. Was noch schlimmer war, daß uns in solchen Fällen der
Waldschütz verjagte. Zum Käschde-Esse daheim berichtet Ludwig
Merz weiter: In der Ernährung unserer Vorfahren
spielte die Edelkastanie keine unwichtige Rolle. Oft wurde sie als Kartoffel der
Armen bezeichnet. Wenn sie im Keller z.B. in Sand eingebettet wurde, konnte sie gut
über den Winter gelagert werden. Die Früchte sind sehr nahrhaft und können u.a. zu Mehl
vermahlen werden. Aber die Edelkastanie ist nicht nur für
Menschen ein Leckerbissen, sondern auch für Eichhörnchen, Eichelhäher, Krähen, Mäuse
und Wildschweine. Dabei wird sie vor allem durch Eichelhäher und Eichhörnchen
verbreitet, die regelrechte Lager der Früchte anlegen. Dieser Sammeltrieb hilft der
Eßkastanie, weil sie ein Dunkelkeimer ist. Vor mehr als 2 Millionen Jahren war die
Edelkastanie auch bei uns ein heimischer Baum. Da sie wärmeliebend ist, verschwand sie
mit den Eiszeiten. Die natürliche Wanderungsgeschwindigkeit der Esskastanie ohne Einfluss
des Menschen, die sich aus der ersten Fruchtzeit der Bäume und dem Verbreitungsradius der
Früchte um den Altbaum errechnen lässt, liegt bei ca. 2-3 km pro Jahrhundert. Damit
konnte es die Esskastanie in den letzten 10 000 Jahren seit der Eiszeit nicht alleine
schaffen, aus Südeuropa um die Alpen herumzuwandern und nach Deutschland auf natürlichem
Wege einzuwandern. Bisher herrschte die Meinung vor, daß die
Esskastanien von den Römern nach Deutschland gebracht wurden. Neueste
Forschungsergebnisse belegen jedoch Einzelfunde von Esskastanienpollen schon in der
späten Eisenzeit um ca. 200 v. Chr. und damit vor der Römerzeit. Die wahrscheinlichste
Erklärung ist, daß die Kelten, die damals z.B. schon Wein aus Südfrankreich tranken und
vielfältige Handelsbeziehungen über die Alpen hatten, wahrscheinlich auch schon damals
die wohlschmeckenden Kastanien mitbrachten und versuchten, sie anzupflanzen. In warmen
Gebieten wie im Rheintal gelang es ihnen wahrscheinlich ab und zu. Später haben dann die
Römer die Esskastanie verstärkt angebaut, besonders im Zusammenhang mit ihrem Weinbau im
3.-4. Jahrhundert n.Chr. Verstärkte Pollenfunde der Esskastanie seit der Römerzeit
belegen dies. Eine weitere Zunahme der Pollenfunde zeigt sich dann im Mittelalter.
Ausgehend von den Klöstergärten wurde sie gezielt angebaut und vermehrt. Die Vermehrung der Edelkastanie Durch die zeitlich sehr günstige Blüte
im Juni umgeht die Esskastanie Spätfröste. Sie hat als Besonderheit zwei Blütenarten:
1. Rein männliche Kätzchen, ca. 30 cm lang und intensiv hellgelb, und 2. zwittrige
Blüten mit weiblichen Fruchtanlagen, die meist an der Basis des männlichen
Blütenkätzchens sitzen. Zur Bestäubung hat die Edelkastanie zwei Strategien entwickelt:
Zum einen die Bestäubung durch den Wind, wie es ihrer Familie der Buchengewächse
entspricht. Dazu produzieren die Edelkastanien im Sommer sehr große Mengen Pollen, die
vom Wind über die Landschaft verweht werden und sich z.B. bei Sommerregen in
Wasserpfützen als gelber Blütenstaub sammeln können. Das mikroskopische Foto zeigt die
Esskastanien-Pollen in 400-facher Vergrößerung.
Die Kastanie verläßt sich aber nicht
allein auf die Windbestäubung, sondern hat auch schon den Weg des Anlockens von Insekten
mit Nektar entwickelt, die dann zur Befruchtung der weiblichen Blüten beitragen. Dazu
produzieren die männlichen Blüten Nektar,
der Käfer, Hummeln, Bienen und Fliegen anlockt, deren Pelz mit den reichlich vorhandenen
Pollen bestäubt wird, die dann beim zufälligen Herumkrabbeln auf den Zweigen auf die
weiblichen Blüten übertragen werden. Der Esskastanien-Pollen besitzt für Insekten einen
hohen Nährwert, was für sie einen weiteren Grund darstellt, die Blüten zu besuchen. Die
Insekten werden neben der hellen Farbe der männlichen Blütenstände auch durch einen
intensiven süßlich-herben Geruch angelockt, der den männlichen Blüten entströmt und
an heißen Sommertagen über ganz Handschuhsheim liegt. Eine Selbstbefruchtung kann bei
der Edelkastanie nicht erfolgen, da zwischen der Blütezeit der männlichen und weiblichen
Blüten ca. 2 Wochen Zeitunterschied besteht. Einzelbäume können deshalb nicht tragen
oder bringen höchstens taube Nüsse. Auch sortenreine Pflanzungen sind meist
unfruchtbar. Aus dem Nektar der duftenden Blütenstände der Edelkastanie und aus ihrem Honigtau bereiten Bienen einen dunklen, wohlschmeckenden Honig. Dieser besitzt ein kräftiges herbes Aroma und ist reich an Fermenten. Durch den hohen Fruchtzuckergehalt bleibt er lange Zeit flüssig.
Esskastanien
können südlich der Alpen bei einem Stammdurchmesser von einem Meter und mehr ein Alter
von über 500 Jahren, nördlich der Alpen in der Regel meist nur 200 Jahre erreichen. In
Sizilien in der Nähe des Ätna steht wohl das älteste Exemplar, dessen Stammumfang
bereits 1770 mit 62 Metern vermessen wurde. Heute wird sein Alter auf 2000 bis 4000 Jahre
geschätzt. Esskastanien sind außerordentlich ausschlagkräftig und wurden früher
häufig in Niederwaldkultur mit 15-20-jährigem Umtrieb gezogen, wobei die jungen,
schlanken Stämme und Äste zu Rebenpfählen verwendet wurden. Im Weinbauklima verjüngt
sich die Eßkastanie durch Stockausschläge selbst. Wenn der Hauptstamm durch hohes Alter
abzusterben beginnt, bilden sich an seiner Basis manchmal bei günstigen Bedingungen neue
Ausschläge, die zu neuen Bäumen heranwachsen können. Genetisch stellen diese
Ausschläge nicht die nächste Generation dar, sondern sind mit der ursprünglichen
Pflanze identisch. Dadurch kann es durch wiederholte Ausschlagsbildung im Laufe der Zeit
zu einem sehr hohen Alter des Baumes kommen. Schön sichtbar ist dies z.B. in einem
Waldstück zwischen Auerstein und Wolfsgrund und beim früheren Pilgerweg zur ehemaligen
Engelskirche am Südhang des Heiligenberges. Das Foto zeigt ehemals aus Ausschlägen
gewachsene Edelkastanien, die inzwischen wieder zu alten Stämmen geworden sind. Im Innern
des Baumkreises stand früher der ursprüngliche Stamm, der inzwischen längst vermodert
ist. Das Alter dieser Edelkastanien am Südhang des Heiligenbergs läßt sich auf 300-320
Jahre schätzen. Das älteste Einzelexemplar einer Esskastanie mit ursprünglichem Stamm
stand bis vor kurzem auf der Engelswiese am Südosthang des Heiligenbergs, bis es durch
einen Sturm im Jahr 2000 umgeworfen wurde. Dabei ließen sich die Jahresringe zählen. Bei
einem Durchmesser des Stammes von 1,20 m ergab sich ein Baumalter von 250 - 300
Jahren. Zum Abschluß wollen wir den heute leider in Vergessenheit geratenen Naturforscher Raoul H. Francé zu Wort kommen lassen, der im Jahr 1906 über das Alter von Bäumen folgendes Nachdenkenswerte schrieb: "Das europäische Klima bringt Baumriesen hervor, die wie die berühmte Edelkastanie am Ätna 20 m Stammdurchmesser erreichen. Kein lebendes Geschöpf kann sich dem an die Seite stellen, keines umspannt mit seinem Leben die Jahrtausende so, wie die Eiben oder Kastanien und Eichen. Schon das genügt, um sie mit dem romantischen Zauber altehrwürdiger Geschichte in unvergleichlichster Weise zu umkleiden, denn nichts führt uns die Majestät der Naturgesetze mehr zum Bewußtsein, als so ein unbegreiflich in die Jahrhunderte hinein grünender Baum, neben dem Menschen aufblühten und verwelkten, so oft wie e i n Menschenleben die Rosenblüte erlebt, an dem Städte und Staaten versanken, unter dem eine Kultur und Religion aufging und wieder abdorrte und eine neue gegründet wurde, die dem kurzlebigen Menschenauge auch schon wieder altersmüde und sichelreif erscheint, ein Baum, der es erlebte, wie Römer, pfeilbewehrte Mongolen, fellumgürtete Recken und eisengepanzerte Ritter, Patrizier, Landsknechte, Hexenprozessionen und Eisenbahnen an ihm vorbeizogen, unter dem Millionen Seufzer von Leiden, die glaubten, unstillbar zu sein, Küsse und Liebesschwüre, die alle Ewigkeiten vom Himmel holen wollten, Träume und ehrgeizige Gedanken, die nach Unsterblichkeit lechzten, wesenlos dahinstarben und in Nichts verwehten, während ihr Zeuge inmitten dieses Maskenzuges in wahrer Unsterblichkeit gleichsam spottet über den Größenwahnsinn dieser so rasch verbrennenden Eintagsfliegen, indem er gelassen bei jeder Sonnenwende einen neuen lebendigen Ring zu den alten und toten fügt. Gegenüber dieser in sich ruhenden Größe ist die Weltgeschichte wie ein Wortgefecht... Und diese Belehrung von der Größe des Lebens, das sich so ausdehnen kann, daß für das Leben auch Jahrhunderte nur zu Tagen werden, flüstert uns in jedem Walde Trost zu. Indem wir sehen, daß sich durch die kleine Komödie der Menschenschicksale nicht einmal etwas länger lebende Wesen beirren lassen, wird unserem von Freuden, Schmerz, hochmütigen Hoffnungen und verzweifeltem Entsagen brennenden Kopf milde Linderung. Wir stürmen gehetzt von allen Furien des Ehrgeizes, gesonnen die Welt zu ändern, gepeinigt von dem Dämon der Ruhelosigkeit dahin - aber schon der erste alte Baum, unter dem wir Halt machen, fächelt uns Abkühlung zu: So heiß, mein kleiner Freund? Denn es sind schon viele bei ihm vorbeigelaufen, denen alle Gewitter nun schon ausgetobt haben... Die halbe Ewigkeit, die für uns ein Baumleben bedeutet, ist vielleicht die Wurzel des Stillerwerdens, mit dem der Wald unsere Seele reinigt. In seiner Atmosphäre des fast Zeitlosen, haben auch die verworrensten Melodien des Kopfes und Herzens Zeit, auszuklingen. Das Künstlerische in uns aber schwelgt darin, daß jeder alte Baum die Geschichte dieser halben Ewigkeit auch erzählt, ihre Spuren an seiner Gewandung trägt. Wissenschaftlich erfassen freilich die wenigsten diese Physiognomik des Baumes, um so deutlicher aber in dem Empfinden, daß ein alter, von Sturm zerfetzter, von Regen gebleichter, von Blitzschlag zersplitterter Baum besonders schön und eines Malers würdig sei. Der Baum bietet etwas was die meisten Tiere nicht haben, etwas das ihn mit dem Menschen verknüpft: er hat Individualität. Die Steinadler oder Frösche sehen sich alle gleich, bei den Schmetterlingen vermag auch das schärfste Auge nicht, Unterschiede zwischen den Individuen gleicher Art zu entdecken, bei Hund und Pferd errät nur der liebevolle Blick des Besitzers die leisen Nuancen, die das Wiedererkennen erlauben, wenn sonst die Rasse und Abstammung gleich ist - die Bäume aber sind alle verschieden. Je älter sie werden, desto mehr prägt sich in ihrem Antlitz ihre Geschichte, so wie in dem unseren. Das macht sie liebwert und interessant. Darum gibt es Lieblingsbäume und ein starkes persönliches Verhältnis zu ihnen." (R.H.Francé, Das Leben der Pflanze, Band 1, 1906, S. 516) 1
Berndmark Heukemes, Reiche römische Steinkistengräber vom Hilzweg in
Heidelberg-Handschuhsheim, Jahrbuch 1997, Seite 5-9 |
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